Abstracts der Vorträge
Festrede: Rechtsextremismus in Europa: Gesellschaftliche Entwicklungen und menschenfeindliche Mentalitäten
Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer
Rechtsextreme Parteien und Gruppen in vielfältigen Schattierungen bilden seit langem eine Bedrohung. Dies gilt trotz partieller „Demokratieentleerung“ weniger für das demokratische System, als vielmehr für schwache Gruppen in den jeweiligen Gesellschaften durch Abwertung, Diskriminierung und Gewalt. Die Entwicklung dieses politischen Problems, bei dem es um Macht im System und im Alltag geht, ist nicht abzukoppeln von gesellschaftlichen Entwicklungen, zu denen soziale Desintegrationsgefahren etc. zählen. Diese gesellschaftlichen Zustände erzeugen immer wieder neu und teilweise verstärkt Ideologien der Ungleichwertigkeit gegenüber schwachen Gruppen, d. h. sie drücken sich in gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit aus, die in der Bevölkerung z. T. auf Zustimmungen stoßen und damit u. a. den Legitimationsfundus für rechtsextreme Gewalt darstellen. Die offene Frage ist, wie die ständigen Reproduktionen solcher menschenfeindlichen Mentalitäten unterbrochen werden können.
Das Spektrum des Rechtsextremismus in Europa
Prof. Dr. David Art
In den vergangenen Jahrzehnten haben sich in ganz Europa politische Parteien gebildet, die Wissenschaftler als rechtsradikal oder rechtsextrem bezeichnet haben. Unter ihnen gibt es verschiedene Ausformungen, und der Erfolg, den sie bei Wahlen und der Beeinflussung umfassender politischer und sozialer Entwicklungen haben, ist unterschiedlich. In diesem Vortrag werden die verschiedenen Entwicklungen der rechtsradikalen Parteien im heutigen Europa verglichen und einige Antworten auf die Frage gegeben, warum diese Parteien in manchen Ländern so stark und in anderen relativ schwach vertreten sind.
Geschichte als Propaganda. Strategien der Erinnerung im deutschen Rechtsextremismus
Dr. Michael Kohlstruck
Vergangenheit ist für den deutschen Rechtsextremismus Deutungsobjekt und Mobilisierungsanlass. Die Deutungen – aus nationaler Perspektive – legitimieren die rechtsextremen Akteure als „wahre Deutsche“ und dienen der Verbreitung der völkischen Weltanschauung. Deren Geschichtsauffassung schließt die Zustimmung zum historischen Nationalsozialismus ein. Die Demonstrationen zu Jahrestagen historischer Ereignisse sind ein wichtiges Element für die Binnenintegration der rechtsextremen Bewegung wie der Darstellung nach außen.
Moderner Rechtsextremismus – eine Herausforderung für Prävention und politische Bildung
Dr. Rudolf van Hüllen
Die Verfassung der BRD sieht es als staatliche Aufgabe an, langfristig und überzeugend die Werte des demokratischen Verfassungsstaates vermitteln, um menschenverachtende und demokratiefeindliche Bestrebungen zu bekämpfen. Denn Extremismus fängt im Kopf an.
Der moderne Rechtsextremismus – äußerlich moderat und bürgerlich – bedient sich anschlussfähiger Themen wie Globalisierungs- und Sozialkritik, die er subtil mit rechtsextremistischen Inhalten unterlegt. Politische Bildung muss daher mehr als bisher Hintergründe schildern und argumentieren und dabei auf regionalen Asymmetrien eingehen: In den neuen Bundesländern sind demokratische Werte weniger grundsätzlich verankert; rechtsextremistische Fraktionen in drei ostdeutschen Landtagen sprechen diesbezüglich eine deutliche Sprache. Aber auch im Westen ist die Zustimmung zu einzelnen rechtsextremistischen Einstellungsmustern unerfreulich hoch. So ist im Osten die Verankerung demokratischer Werte, der Aufbau von Zivilgesellschaft und auch die direkte Intervention gegen manifesten Rechtsextremismus das Gebot der Stunde. Im Westen steht der Staat vor der anspruchsvollen Herausforderung, subtile, oft unreflektierte rechtsextremistische Einstellungsmuster zu bekämpfen.
Der Rechtsextremismus und die „Mitte“ der Gesellschaft
Prof. Dr. Birgit Rommelspacher
Die Rechtsextremen behaupten im Namen der Bevölkerung zu handeln und das offen auszusprechen, was viele nicht zu sagen wagen. Wieweit gibt es tatsächlich Übereinstimmungen zwischen der „Mitte“ der Gesellschaft und dem rechten „Rand“? Wo gibt es Abgrenzungen und Widerstand? Diese Fragen sollen u.a. auch anhand des Umgangs von Eltern mit ihren rechtsextremen Kindern erörtert werden.
Die Radikale Rechte in Europa: Struktur, Trends und Gegenstrategien
Britta Schellenberg M.A.
Britta Schellenberg stellt aktuelle Trends (Struktur und Themen) der radikalen Rechten in Europa dar und zeigt Strategieansätze für die Bekämpfung der Bewegung auf. Grundlage ihrer Analyse sind aktuelle Länderexpertisen, die im Kontext des Projekts ‚Strategien gegen Rechtsextremismus in Europa’ der Bertelsmann Stiftung und des Centrums für angewandte Politikforschung entstanden sind.
Die Wahl extrem rechter Parteien in Belgien und einige limitierte internationale Vergleiche
In einer bedeutenden Anzahl westeuropäischer Länder haben sich rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien zu maßgeblichen Akteuren im politischen Raum entwickelt. In einigen Ländern beteiligen sie sich an der Regierung, in anderen unterstützen sie eine Minderheitenregierung oder beeinflussen auf das heftigste politische Debatten und die Einstellung verschiedener anderer Parteien etwa in Bezug auf Recht und Ordnung oder auf Einwanderung und ethnischen Minderheiten. Der Blick auf die sozio-demografischen Merkmale von rechtsextremen und rechtspopulistischen Wählern macht deutlich, dass sich die Wähler dieser Parteien im Laufe der Zeit – sagen wir vom Ende der 1980er Jahre bis 2007 – von Mitgliedern überwiegend aus der Unterschicht zu Mitgliedern aus Teilen der allgemeinen Bevölkerung gewandelt hat. Betrachtet man die einstellungsbedingten Dispositionen für die Wahl dieser Parteien, lässt sich feststellen, dass eine negative Haltung gegenüber ethnischen Minderheiten und der Ruf nach einer Bändigung von Kriminalität die Hauptmerkmale dieser Wähler sind. Im weiteren Verlauf des Vortrags wird deutlich, dass die ab den 1990er Jahren empfundene Bedrohung durch den Islam zur Hauptquelle der negativen Einstellung gegenüber ethnischen Minderheiten in Westeuropa wurde. Dies ergibt sich aus der Tatsache, dass (inter)nationale Konflikte mittlerweile als „Kampf der Kulturen“ interpretiert werden, wobei jeder Konflikt mit dem Gegensatz Islam – Westen in Verbindung gebracht wird. Wir werden zeigen, dass sich die gespaltene Struktur des politischen Raums in westeuropäischen Ländern seit den 1980er Jahren verändert hat und dass sich neben der klassischen ökonomischen Links-Rechts-Spaltung ein neuer Gegensatz an den Grenzen zeigt: der Gegensatz einer so genannten universalen kulturellen Offenheit zu einer partikularistischen kulturellen Verschlossenheit.
Der Front National: ein internationaler Vergleich
Prof. Dr. Jean-Yves Camus
Der Front National versuchte nach der Gründung im Jahre 1972, sich nach dem Vorbild der damals führenden Partei der europäischen Rechtsextremen, dem Movimento Sociale Italiano (MSI) in Italien, aufzubauen. Jedoch hat der FN, nachdem er 1984 als starke politische Kraft hervortrat, die italienischen Neofaschisten mehr und mehr als Vorkämpfer der „dritten Welle“ der populistischen und fremdenfeindlichen Parteien abgelöst. Der FN hat eine entscheidende Rolle bei dem Aufbau einer Koalition gleich gesinnter Parteien auf der Ebene der Europäischen Union, und besonders im Europaparlament, gespielt, und möchte diese Rolle auch heute noch einnehmen. Auch diente er anderen Parteien als Leitbild bei der Ausformung ihres politischen Programms, so dass Le Pens Markenzeichen, eine Mischung aus Populismus, Anti-Immigrationslinie, Fremdenfeindlichkeit und freier Marktwirtschaft, mittlerweile ein verbreitetes Markenzeichen unter den politischen Rechten ist.
Der Front National ist ein Vorbild für jene nationalistischen, politisch weit rechts außen stehenden Parteien, die sich in die Politik der Masse eingliedern wollen. Jedoch finden sich im FN, wie auch bei Vlaams Belang und der FPÖ, noch viele charakteristische Merkmale der traditionellen Rechtsextremen, und dies hebt ihn von „modernen“ Bewegungen, wie den populistischen Parteien Skandinaviens oder der SVP/UDC in der Schweiz, ab. Darüber hinaus kann der Erfolg des FN auch dem Charisma Le Pens zugeschrieben werden, wohingegen viele ähnliche Parteien aufgrund ihrer glanzlosen Anführer im politischen Untergrund geblieben sind.
Letztlich lehnt sich der Front National, wie alle rechtsextremen Parteien, die seit den 80er Jahren in den Wahlen Erfolg hatten, wenig an seine Schwesterparteien im Ausland an: er ist in erster Linie eine typisch französische extremistische Bewegung, deren ideologischer Ursprung in der Tradition der reaktionären französischen antiparlamentarischen Rechten liegt.
Fremdenfeindlichkeit und rechtsradikaler Populismus: Ein Teufelskreis?
Prof. Dr. Jens Rydgren
Einwanderung ist bei den neuen rechtsradikalen Parteien ein zentrales Thema. Viele haben sich Immigrationsfaktoren bedient, wenn sie versuchten, ihre Entstehung und Wählermobilisierung zu erklären. Diese Forschungsarbeit hat in überzeugender Weise dargestellt, dass Vorbehalte bezüglich der Immigration (d. h., Einwanderungszahlen vermindern zu wollen) ein Hauptfaktor dabei ist, vorhersagen zu können, wer seine Stimme einer rechtsradikalen Partei geben wird. Jedoch wurden in früheren Studien Vorbehalte bezüglich der Immigration oftmals unkritisch mit Fremdenfeindlichkeit oder sogar Rassismus gleichgesetzt. Im ersten Teil meiner Präsentation möchte ich mithilfe von Daten aus der ersten Runde des European Social Survey (2003), einer sozialwissenschaftlichen Umfrage in sechs westeuropäischen Ländern (Österreich, Belgien, Dänemark, Frankreich, Niederlande und Norwegen), zeigen, dass eine fremdenfeindliche Einstellung einen wesentlich geringeren Indikator für die Wahl der neuen radikalen Rechten darstellt als Vorbehalte bezüglich Immigration. Im Allgemeinen sind Menschen, die die radikal Rechten wählen, weniger fremdenfeindlich als die Parteien, denen sie ihre Stimme geben. Darüber hinaus habe ich untersucht, inwieweit die Anti-Immigrationslinie der rechtsradikalen Parteien bei ihren Wählern und deren Standpunkten Anklang finden, und inwieweit sie die Entscheidung der Menschen, für eine Rechtspartei zu wählen, beeinflussen. Die Untersuchungen haben gezeigt, dass Darstellungen, die Einwanderung mit Kriminalität und sozialen Unruhen verbinden, bei der Mobilisierung von Wählern für die rechten Parteien besonders wirksam sind. Im zweiten Teil meines Vortrags soll diskutiert werden, welchen Einfluss rechtsradikale Parteien darauf haben, wie negativ die Gesellschaft gegenüber Immigration eingestellt ist. Da sie am politischen Diskurs teilnehmen, können diese Parteien eine vermehrt auftretende Fremdenfeindlichkeit auslösen, entweder indirekt, indem sie auch andere politische Akteure beeinflussen, oder aber direkt, indem sie das Bezugssystem der Menschen beeinträchtigen.
Zwischen (Anti-)Sexismus und völkischem Denken – Frauen und Frauenbilder in der rechtsextremen Szene
Dr. Renate Bitzan
Obwohl nach wie vor männerdominiert, wird der Rechtsextremismus auch von Frauen aktiv mitgetragen. Neben ihren quantitativen Anteilen an verschiedenen Dimensionen des Rechtsextremismus – von der Gewalttat über Parteifunktionen und Wahlverhalten bis zum Einstellungspotenzial – sollen beispielhaft einige Frauenorganisationen und ihr durchaus heterogenes Frauenbild vorgestellt werden. Schließlich werden Thesen dazu formuliert, welche Effekte die Frauenpräsenz in der rechtsextremen Szene hat.
„Ich möchte mich in meinem Haus wohlfühlen“. Alltag in Familien von rechten Jugendlichen
Dr. Reiner Becker
In der öffentlichen Diskussion über rechtsextremistische Einstellungen bei Jugendlichen sind die Schuldigen schnell ausgemacht: Sowohl Ursachen als auch Lösungskompetenz werden häufig im Elternhaus gesucht. Tatsächlich liegen zahlreiche Forschungsbefunde dazu vor, welchen Beitrag die Familie in der politischen Sozialisation leistet – auch in der Herausbildung von „rechten“ Orientierungsmustern. Allerdings bestehen kaum Kenntnisse darüber, wie innerhalb der Familie mit einer bereits vorhandenen „rechten“ Orientierung eines Jugendlichen umgegangen wird.
Die dem Vortrag zugrunde liegende Studie „Ein normales Familienleben. Interaktion und Kommunikation zwischen rechten Jugendlichen und ihren Eltern“ knüpft an Untersuchungen verschiedener theoretischer Konzepte zum Sozialisationsort Familie und zu Rechtsextremismus an. Anhand der Analyse von qualitativen Interviews mit rechtsorientierten Jugendlichen und Eltern werden im Rahmen des Vortrags verschiedene „typische“ Räume der familialen Interaktion und Kommunikation untersucht, miteinander verglichen und dabei die Möglichkeiten und Grenzen von Familie als Ressource zur Reduktion rechtsextremer Affinitäten bei Jugendlichen konturiert. Es zeigt sich, dass für die einen Familien die rechte Orientierung eines Jugendlichen kein Problem darstellt und hier ein normales Familienleben geführt wird, während der Alltag in anderen Familien von zahlreichen Konflikten geprägt und ein „normales Familienleben“ mehr Wunsch als Wirklichkeit ist.
Erlebniswelt Rechtsextremismus. Menschenverachtung mit Unterhaltungswert
Dr. Thomas PfeifferDas Gesicht des Rechtsextremismus in Deutschland hat sich verändert. Das Erscheinungsbild und die Aktionsformen der Szene sind häufig keineswegs altbacken oder ewiggestrig – vielmehr spricht ein modernisierter Rechtsextremismus die Symbolsprache des 21. Jahrhunderts: Rockmusik ist zum Instrument der Propaganda geworden, Volksverhetzung taucht nicht selten in modernem Web-Design auf, neue Symbole und Codes schweißen zusammen, Action wird groß geschrieben. Auf diese Weise ist eine "Erlebniswelt Rechtsextremismus" entstanden, in der Unterhaltung und politische Botschaften verschmelzen. Ein deutliches Beispiel ist das "Projekt Schulhof" – der Versuch aus neonazistischen Kreisen, eine Musik-CD mit rechtsextremistischen Texten an Kinder und Jugendliche zu verteilen und sie auf diese Weise an die Szene heranzuführen.
In der „Erlebniswelt Rechtsextremismus“ sind demokratiefeindliche, häufig menschenverachtende Inhalte allgegenwärtig. Sie kreisen nach wie vor um einen fremdenfeindlichen Kern und die Verherrlichung, zumindest die Verharmlosung des Nationalsozialismus. Mal bemühen sich Rechtsextremisten, solche Botschaften in ein seriöses Gewand zu kleiden, mal machen sie mit provokant und zynisch zur Schau gestelltem Rassismus auf sich aufmerksam. Mit welchen Mitteln möchte die rechtsextremistische Szene Jugendliche erreichen? Welche Inhalte werden in den Liedern der Szene vermittelt?
Angriff von rechts außen: Wie die NPD und Kameradschaften den Fußball als Strategiewerkzeug nutzen
Ronny Blaschke M.A.
Die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 wurde als Geburtsstunde für Weltoffenheit und Toleranz gedeutet, doch man kann sie auch anders beschreiben: Der rosarote WM-Schleier war eine große Illusion; die zahlreichen Vorstöße von rechts und der Missbrauch des Turniers als Propagandamaschine extremistischer Parteien wurden verzerrt dargestellt.
Der Rechtsextremismus im Fußball existiert seit Jahrzehnten, aber er hat sich gewandelt. Sichere, moderne Arenen können zwar rechtsextreme Übergriffe in der Bundesliga verringern, nicht aber deren Verlagerung in die unteren Ligen. Der Rechtsextremismus ist subtiler geworden, er hat seine Lautstärke verloren und findet zunehmend auf verborgenen Plattformen statt; fernab von Kamerasystemen und Großaufgeboten der Polizei.
Oft werden soziale Brennpunkte, die der Staat aufgegeben hat, von rechtsextremen Gruppierungen besetzt, um z.B. neue Jugendzentren aufzubauen. Auf Fußballplätzen ist die Unterwanderung häufig noch einfacher: Der Fußball ist ein Brennglas, unter dem Rassismus, Antisemitismus oder Homophobie an Schärfe gewinnen. Die Hemmungen fallen in der der Masse schneller, die Parolen können schnell auf neutrale Zuschauer überspringen. Der DFB und die Polizei haben erkannt, dass nicht Gewalt suchende Hooligans das größte Problem des Fußballs darstellen, sondern rechtsextreme Kräfte, die im Verborgenen auf Mitgliedersuche gehen. In der Gegenwehr liegt die größte Herausforderung des Fußballs. Doch noch immer unternehmen viele Vereine erst etwas, wenn ihr Ruf Schaden nimmt.