Karlsruher Gespräche 2017

Frauen und das Scharia-Recht: Die Auswirkungen eines Rechtspluralismus

 

PD Dr. Elham Manea

Referentin

 
PD Dr. Elham Manea ist Privatdozentin am Institut für Politikwissenschaft der Universität Zürich. Sie lehrt und forscht in den Bereichen Rechtspluralismus, politischer Islam und Radikalisierung, Gender und Politik im arabischen Raum sowie Politik der arabischen Halbinsel mit Spezialgebiet Jemen. Manea ist auch Menschenrechtsaktivistin und berät staatliche, Nichtregierungs- und internationale Organisationen zu den Themen Frauenrechte, Religion und Entwicklung. Neben ihren akademischen Beiträgen veröffentlichte sie mehrere Sachbücher und Romane, u.a. Women and Shari‘a Law: The Impact of Legal Pluralism in the UK (2016), The Arab State and Women’s Rights: The Trap of Authoritarian Governance (2011), Ich will nicht mehr Schweigen: Der Islam, der Westen und die Menschenrechte (2009).

 

Statements

1.Welche „Feinde“ stellen Ihrer Ansicht nach die größte Gefahr für die pluralistische Gesellschaft dar?

Zwei Kräfte und ein Faktor stellen die größte Bedrohung für eine pluralistische Gesellschaft dar. Die zwei Kräfte sind rechtsextreme und islamistische Bewegungen. Die extreme Rechte spielt mit den Ängsten der Bevölkerungsmehrheit in einer zunehmend unsicheren Welt, reduziert die Migranten auf ihre religiöse Identität und verurteilt sie pauschal als Täter, die der rechtsextremen Vision von der Wiederherstellung einer ‚reinen‘ Gesellschaft im Wege stehen. Islamistische Bewegungen (vor allem in gewaltfreier Ausprägung) wollen die Werte und Normen untergraben, die eine säkulare, demokratische und an Menschenrechten orientierte Mehrheitsgesellschaft ausmachen. Sie bedienen sich der Unsicherheit, die Bürger, Politiker und Behörden erleben, wenn sie sich mit ihren Forderungen befassen, und drängen auf Maßnahmen, die zur Entstehung von Parallelgesellschaften beitragen, die ihre eigenen Normen und Rechtsstrukturen haben. Und sie versuchen, junge Menschen für ihre Ideologie zu gewinnen, indem sie die Identitätskrise solcher Jugendlicher für sich instrumentalisieren. Das Problem wird durch einen Faktor noch verschärft: die Unfähigkeit von Mainstream-Politikern und Akteuren der Zivilgesellschaft, darauf hinzuweisen, dass es Spielregeln gibt, die für alle Mitglieder der Gesellschaft verbindlich sind. Das soziale Gefüge und der Zusammenhalt sind gefährdet, wenn die Menschen erfahren, dass unterschiedliche ‚Gruppen‘ unterschiedlich behandelt werden und dass für sie unterschiedliche Normen und Regeln gelten. Das ist ein ganz fruchtbarer Boden für Extremisten und Populisten, die die entstehende Frustration für ihre Zwecke nutzen.

 

2. Wie kann Ihrer Meinung nach das Vertrauen in Eliten und die Medien wieder gestärkt werden, nachdem sich seit Längerem ein Vertrauensschwund beobachten lässt?

Wir müssen den Problemen, denen unsere Gesellschaften offenbar derzeit ausgesetzt sind, mit einer klaren, ehrlichen und differenzierten Sprache begegnen, die jeder versteht. Die Eliten und die Medien sollten nicht mehr davor zurückschrecken, Fragen zu diskutieren, die als ‚sensibel‘ oder ‚politisch inkorrekt‘ gelten. Sie sollten zuhören und bereit sein, sich mit Menschen auseinanderzusetzen, die in Gebieten leben oder arbeiten, in denen der Multikulturalismus ganz offensichtlich nicht funktioniert.

 

3. Auf welche Weise kann das Bewusstsein für die Vorteile von Freiheit sowie deren Wertschätzung innerhalb pluralistischer Gesellschaften gesteigert werden – besonders für Menschen, denen Erfahrungen mit Unfreiheit fehlen?

Ich bemühe mich in der täglichen Arbeit mit meinen Studenten, dieses Bewusstsein zu fördern. Bei meinen Schweizer Studierenden – also jenen ohne Migrationshintergrund – strenge ich mich ganz bewusst an, ihnen zu zeigen, dass es ein weiter Weg war, sich diese Freiheiten und Rechte zu erkämpfen, und dass sie sie nicht als selbstverständlich ansehen dürfen. Ich betone auch, dass der Kampf für Freiheit und Menschenrechte ein ganz universeller Kampf ist und dass das, was wir hier genießen dürfen, Errungenschaften sind, die man nicht als trivial ansehen darf und für die es auch heute noch zu kämpfen gilt. In der Interaktion mit meinen internationalen Studierenden und denen mit Migrationshintergrund benutze ich Fakten und Beispiele, um zu zeigen, dass (a) westliche Gesellschaften die gleichen Phasen und Probleme durchgemacht haben, denen sich Gesellschaften in anderen Teilen der Welt gerade jetzt ausgesetzt sehen (die Frauenrechte – Wahl- und Familienrecht – in der Schweiz sind hierfür ein gutes Beispiel), und dass (b) bestimmte Annahmen keiner Überprüfung des Wahrheitsgehalts standhalten; zum Beispiel sind einige meiner Studenten zunächst überzeugt davon, dass das Islamische Recht gleichbedeutend ist mit Gerechtigkeit und Gleichheit. Ich weise sie dann auf den historischen Kontext hin, in dem die Urteile des Islamischen Rechts artikuliert wurden (zwischen dem 7. und 10. Jahrhundert), und ich zeige ganz konkret auf, was die Scharia für Frauen, Kinder und Menschen anderen Glaubens bedeutet – und für alle die, die sich vom Islam abwenden.