Wissenschaft in der Politik. Von den Potenzialen und Problemen einer komplexen Beziehung
Die Wissenschaft ist eine wichtige Ressource moderner Gesellschaften: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diagnostizieren gesellschaftliche Probleme wie die Ausbreitung von Viren, Mangelernährung oder den Klimawandel und sie entwickeln Möglichkeiten zu ihrer Bewältigung wie Impfungen, Züchtungstechnologien oder CO2-freie Mobilitätsantriebe. Diese Ressource können Gesellschaften allerdings nur dann ideal ausschöpfen, wenn Politik wissenschaftliche Erkenntnisse nutzt, um möglichst rationale Entscheidungen herbeizuführen. Doch wie gut gelingt das und wie kann es besser gelingen? Diese Frage steht im Zentrum des Colloquium Fundamentale im Wintersemester 2021/22.
Das Colloquium Fundamentale wird durch den KIT Freundeskreis und Fördergesellschaft e.V. gefördert.
Konzept und wissenschaftliche Leitung: Prof. Dr. Senja Post
Organisation: Mareike Freier M.A.
Veranstaltungsübersicht
Politisierte Debatten um Umwelt, Technologie und Wissenschaft
Donnerstag, 28. Oktober 2021, 18 Uhr, Live-Stream-Aufzeichnung
©John Flury |
Prof. Dr. Senja Post
In ihrem Vortrag führt Prof. Dr. Senja Post in die Thematik des Colloquium Fundamentale ein. Auf der Grundlage empirischer Befunde wirft sie einige Schlaglichter auf die Rollen von Journalistinnen und Journalisten und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in der gesellschaftlichen Kommunikation über wissenschaftliche Erkenntnis von politischer Relevanz. Dabei geht es um den Umgang mit wissenschaftlicher Ungewissheit, den Einfluss von Voreinstellungen auf die Darstellung wissenschaftlicher Erkenntnis sowie um Einflüsse von Erwartungen, durch Wissenschaftskommunikation bestimmte politische Effekte zu erzielen. Ziel des Einführungsvortrags ist es, einige Schlaglichter auf das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik zu werfen, die im Laufe der Vortragsreihe vertieft werden. Senja Post hat Kommunikationswissenschaft, Politikwissenschaft und Anglistik an der TU Dresden, Boston University und Johannes Gutenberg-Universität Mainz studiert. 2012 promovierte sie am Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz mit einer Arbeit über die “Wahrheitskriterien von Journalisten und Wissenschaftlern”. Nach einer Tätigkeit als Postdoktorandin an den Universitäten Koblenz-Landau und Zürich war sie bis 2021 Professorin für Wissenschaftskommunikation in den Lebenswissenschaften an der Georg-August-Universität Göttingen. Seit August 2021 ist sie Professorin für Wissenschaftskommunikation sowie wissenschaftliche Leiterin des Zentrums für Angewandte Kulturwissenschaft und Studium Generale am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). |
Soll die Politik der Wissenschaft folgen?
Donnerstag, 18. November 2021, 18 Uhr, Live-Stream-Aufzeichnung
©Universität Innsbruck |
PD Dr. Alexander Bogner
Privatdozent für Soziologie in Wien und Senior Scientist am Institut für Technikfolgen-Abschätzung (ITA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
Viele politische Streitfragen werden heute in erster Linie als Wissensprobleme verstanden. Aktuelle Beispiele sind die Klimadebatte, neue Technologien oder auch die Coronakrise. In den Mittelpunkt der Auseinandersetzung rücken damit Fakten, Evidenzen, kognitive Kompetenzen. „Follow the science“ lautet die Parole all jener, die gegen Populismus und „Post-Truth“ auf die Wissenschaft setzen. Dahinter steht guter Wille – und die Überzeugung, dass es auf politische Streitfragen stets „richtige“ Antworten gibt. Doch nicht nur Ignoranz, Fake News und Verschwörungstheorien gefährden die Demokratie. Auch eine naive Begeisterung für Wissenschaft und Wahrheit kann gefährlich werden. Und zwar dann, wenn man die Politik darauf beschränken will, den Weisungen einer Wissenselite zu folgen. Alexander Bogner, geb. 1969, ist Privatdozent für Soziologie in Wien und arbeitet am Institut für Technikfolgen-Abschätzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Von 2017 bis 2019 war er Professor für Soziologie an der Universität Innsbruck. Er ist Vorsitzender der Österreichischen Gesellschaft für Soziologie. Aktuelles Buch: „Die Epistemisierung des Politischen. Wie die Macht des Wissens die Demokratie gefährdet.“ (Reclam, 2021)
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Auf was soll man sich denn sonst verlassen – Zum Verhältnis von Wissenschaft und Politik
Donnerstag, 2. Dezember 2021, 18 Uhr, Live-Stream-Aufzeichnung
Prof. Dr. Klaus Kornwachs
vorm. Lehrstuhl für Technikphilosophie an der BTU Cottbus, Honorarprofessor am Humboldt Studienzentrum für Geisteswissenschaften an der Universität Ulm und Honorary Professor, China Intelligent Urbanization Co-Creation Center at Tongji University, Shanghai
Was im Laufe der Diskussion in der Corona-Krise geschah, war ein gegenseitiges Missverständnis dessen, was Wissenschaft und Politik jeweils können und wollen: Die Wissenschaft erwartete von der Politik, dass sie sich ihren „vernünftigen“ Argumenten anschließe, die Politik erwartete von der Wissenschaft Gewissheit und Legitimation für ihre Entscheidungen. Doch die Wissenschaft liefert keine endgültigen Gewissheiten, sondern immer nur vorläufige Erkenntnisse, und die Politik muss Entscheidungen unter Unsicherheit treffen. Die Kriterien, nach denen in der Politik entschieden wird, sind der Wissenschaft oftmals fremd. Umgekehrt können viele Menschen, die außerhalb der Wissenschaft tätig sind, die Aussagekraft der wissenschaftlichen Modelle kaum einschätzen. Es geht dabei auch um unterschiedliche Interessen. Es wäre für die politische Kultur förderlich, diese Interessen zu benennen. Dann braucht die Wissenschaft nicht auf die Politik herabschauen und die Politik braucht sich nicht hinter der Wissenschaft zu verstecken. Prof. Dr. phil. habil. Dipl. Phys. Klaus Kornwachs, Studium der Physik, Mathematik und Philosophie, Habilitation in Philosophie. 1979-1992 Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation, Stuttgart, 1991 Forschungspreis der Alcatel SEL-Stiftung für Technische Kommunikation. 1992-2011 Lehrstuhl für Technikphilosophie an der BTU Cottbus, Honorarprofessor für Philosophie, Universität Ulm. Zahlreiche Gastprofessuren; Mitglied der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech), Herausgeber und Autor zahlreicher Fachbücher und Veröffentlichungen (www.kornwachs.de).
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Politikberatung in der Corona-Pandemie. Ein internationaler Vergleich
Donnerstag, 9. Dezember 2021, 18 Uhr, Live-Stream-Aufzeichnung
©Lochte |
Prof. Dr. Andreas Busch
In akuten Krisen kommt das in den Ministerialverwaltungen des Staates vorgehaltene Wissen oft an seine Grenzen und benötigt Spezialwissen von außen. Dann wird in der Regel "input" aus dem Wissenschaftssystem mobilisiert. Doch nach welchen Logiken und welchen Auswahlmechanismen geht der Staat hier vor? Wie findet man den "besten" Rat für drängende Probleme? Der Vortrag nimmt die aktuelle Corona-Pandemie als Beispiel und zeichnet nach, wie in drei Ländern (der Bundesrepublik, Großbritannien und den USA) wissenschaftlicher Rat in die Entscheidungsfindung der Exekutive erbeten und genutzt wurde. Dabei zeigen sich deutliche Unterschiede, obwohl die drei Länder relativ ähnliche politische Systeme haben und sich mit demselben Problem konfrontiert sahen. Andreas Busch ist Professor für Vergleichende Politikwissenschaft und Politische Ökonomie an der Universität Göttingen. Er studierte Politikwissenschaft, Volkswirtschaftslehre und Öffentliches Recht an den Universitäten München, Heidelberg und Oxford. Promotion und Habilitation an der Universität Heidelberg, 1997-98 John F. Kennedy Memorial Fellow am Center for European Studies der Harvard University. 2001-2008 zunächst University Lecturer, ab 2004 Reader in European Politics am Department of Politics and International Relations der University of Oxford und Fellow des Hertford College, Oxford. 2014 wurde er zum Mitglied der Geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Klasse der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen gewählt. Seine Forschungsinteressen liegen im Bereich der Vergleichenden Staatstätigkeitsforschung, der Analyse politischer Systeme, der Netzpolitik sowie der Erforschung der Rolle des Protestantismus in der bundesdeutschen Politik.
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Welchen Journalismus über Wissenschaft braucht die Demokratie?
Donnerstag, 13. Januar 2022, 18 Uhr, Live-Stream-Aufzeichnung
©Stollorz |
Volker Stollorz
Geschäftsführer Science Media Center Germany
Die Pandemie zeigt in aller Dringlichkeit, wie sehr es „auf die Zirkulation der guten und wahren Information“ ankommt (Michel Serres). In einer Weltgesellschaft wachsender Komplexität benötigen Gesellschaften verlässliche Daten und robustes Wissen aus den Wissenschaften, um möglichst vernünftige kollektive Entscheidungen treffen zu können. Mit der Digitalisierung der öffentlichen Kommunikation ist die Zahl der Sender explodiert, deshalb stellt sich in liberalen Demokratien die Frage, wie der Journalismus seine Funktion als Klärwerk der Demokratie ausüben kann, damit richtige und wichtige Informationen relevante Publika erreichen. In diesem Vortrag wird diskutiert, vor welchen besonderen Herausforderungen der Journalismus über Wissenschaft heute steht.“ Volker Stollorz ist Geschäftsführer des Sience Media Center Germany. Seit 1991 berichtet der Wissenschaftsjournalist aus Leidenschaft über die Reibungszonen zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Nach dem Biologie- und Philosophie-Studium an der Universität zu Köln und am Niederländischen Krebsforschungsinstitut in Amsterdam erlebte der Diplom-Biologe die Gründung dreier Wissenschaftsressorts hautnah mit (ZEIT, Die Woche, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung). Für seine Berichte in Print, Online und Rundfunk wurde das langjährige Mitglied der Wissenschafts-Pressekonferenz (WPK) vielfach ausgezeichnet.
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Vom Laien zum selbsternannten Experten – Folgen von Selbstüberschätzung des eigenen Wissens für den Meinungsbildungsprozess bei wissenschaftlichen Themen
Donnerstag, 20. Januar 2022, 18 Uhr, Live-Stream-Aufzeichnung
Dr. Svenja Schäfer
Universitätsassistentin (Postdoc) in der Political Communication Research Group der Universität Wien
Geht es um Wissenschaftskommunikation, sind Bürgerinnen und Bürger in einer schwierigen Situation. Sie müssen beispielsweise gesundheitsbezogene Entscheidungen treffen oder abwägen, welche politischen Maßnahmen sie bei Umweltthemen für angemessen halten, ohne Themen durchdrungen zu haben – ja sogar ohne sie überhaupt grundlegend verstehen zu können. In diesem Vortrag wird vorgestellt, wie Laien zur Einschätzung ihres eigenen Wissens kommen und an welcher Stelle Fehler in diesem Prozess passieren, die überwiegend zu einer Überschätzung des eigenen Wissens führen. Außerdem werden Zusammenhänge zwischen Wissenswahrnehmung und politischer Partizipation skizziert, welche die gravierenden Folgen einer Wissensillusion für Meinungsprozesse aufzeigen. Svenja Schäfer studierte Medienmanagement und Kommunikationswissenschaft an der Hochschule für Musik, Theater und Medien, Hannover, und der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. 2020 promovierte sie am Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz zu Mediennutzung und metakognitiver Urteilsbildung und ging dabei der Frage nach, inwiefern digitale Nachrichtennutzung die Entstehung einer Wissensillusion beeinflusst. Seit 2020 ist sie Oberassistentin (Postdoc) in der Political Communication Research Group der Universität Wien. |