Karlsruher Gespräche 2012
„Alles in (Un-)Ordnung? Neue Unübersichtlichkeiten in einer globalisierten Welt“
David Ropeik
Referent
David Ropeik ist Autor, Berater und Referent zu den Themen Risikowahrnehmung und Risikokommunikation für Regierungsstellen, Unternehmen, Wirtschaftsverbände, Gesundheitsorganisationen, Verbraucherschutzgruppen und Bildungseinrichtungen weltweit. Er lehrt im Studiengang Umweltmanagement der Harvard University Extension School und ist Autor von „How Risky Is It, Really? Why Our Fears Don’t Always Match the Facts“, erschienen 2010, sowie Mitautor von „RISK, A Practical Guide for Deciding What’s Dangerous and What’s Safe in the World Around You“, erschienen 2002. Ropeik ist Urheber und Direktor des Programms „Improving Media Coverage of Risk“, einem Schulungsprogramm für Journalisten. Bei BigThink.com schreibt er den Blog „Risk: Reason and Reality“, bei Psychology Today den Blog „How Risky Is It Really?“ und trägt außerdem bei verschiedenen angesehenen Tageszeitungen zu Blogs bei. Er lehrte an der Harvard School of Public Health und war dort Mitdirektor des berufsbildenden Kurses „The Risk Communication Challenge“.
Ropeik arbeitete in Boston 22 Jahre lang als Nachrichtenreporter im Fernsehen und war auf die Berichterstattung umweltbezogener und wissenschaftlicher Themen spezialisiert. Er lehrte neben der Harvard School of Public Health auch im Knight Science Journalism Fellowship Program des MIT und an vielen anderen angesehenen Einrichtungen Kurse über die Berichterstattung bei Risikothemen. Ropeik ist Jurymitglied im Oakes Environmental Journalism Award Program und Jurymitglied bei der Vorauswahl für die Auszeichnungen DuPont Columbia Awards for Broadcast Journalism. Er erhielt zweimal die Auszeichnung DuPont-Columbia Award sowie je einmal die Auszeichnung Gabriel Award und National Headliner Award (einschließlich der Zusatzehrung „Best of Show“) und sieben regionale EMMY-Auszeichnungen. Zwischen 1998 und 2000 schrieb er die Wissenschaftsrubrik „How and Why“ für The Boston Globe, die auch von The New York Times angekauft wurde. Er hat einen Bachelor-Abschluss (’72) und einen Master-Abschluss (’73) in Journalismus von der Medill School of Journalism an der Northwestern University. Von 1994 bis 1995 war Ropeik ein Knight Science Journalism Fellow am MIT und im Jahre 1999 ein National Tropical Botanical Garden Fellow. Von 1991 bis 2000 war er Vorstandsmitglied der Society of Environmental Journalists. Er hat an der Boston University, Tufts University und am MIT Journalismus unterrichtet.
Das ZAK bat David Ropeik, folgende Fragen zu beantworten:
1. Hat sich unser Sicherheitsbedürfnis vergrößert oder hat sich lediglich unsere Wahrnehmung von Unsicherheit geändert?
In vielerlei Hinsicht sind wir natürlich bei weitem sicherer als jemals zuvor. Unsere Nahrung und unser Wasser sind sicherer und deren Angebot ist ebenfalls sicherer. Die Arbeitsbedingungen haben sich verbessert. Mit der Zeit sind die Menschen untereinander weniger gewalttätig geworden (natürlich mit vielen offenkundigen Ausnahmen). Gesundheit und Sicherheit konnten durch unglaubliche Verbesserungen in Medizin und Gesundheitswesen große Fortschritte machen. Denken Sie nur daran, dass wir jetzt viel länger leben, fast zweimal so lange wie vor nur 100 Jahren. Allerdings haben die modernen Fortschritte auch neue Risiken geschaffen: vom übermäßigen Gebrauch von Antibiotika, der weltweiten Ausbreitung von Krankheiten durch internationale Reisen und internationalen Handel über chemische Verunreinigung bis hin zum Stress von Milliarden von Menschen, die sich in die Städte drängen und dort um Raum, Arbeit und Ressourcen konkurrieren. Noch nie haben sich die Menschen so vielen Situationen ausgesetzt gesehen, die so viel vom begrenzten körperlichen System verlangen. Die fehlende Nachhaltigkeit führt zu den unterschiedlichsten neuen Risiken, von Klimawandel über Versauerung der Meere bis hin zu Entwaldung und Wüstenbildung. Jenseits der fassbaren Bedrohungen stellen diese modernen Risiken versteckte Gefahren dar, da sie komplexer sind als die einfachen Gefahren, die wir evolutionsbedingt erkennen können. Unser Risikowahrnehmungssystem stützt sich mehr auf Gefühle und Instinkte als auf Vernunft und Fakten. Es ist nicht so gut dafür geeignet, Gefahren wie Klimaveränderungen oder Atomkraft gewissenhaft und vernünftig einzuschätzen. Kurz gesagt, unser Risikowahrnehmungssystem, das sich so stark auf subjektive und emotionale Merkmale stützt, macht bei komplexen, modernen Risiken manchmal Fehler und unsere Ängste passen nicht zu den Fakten, und das – ich nenne es in meinem Buch „die verzerrte Risikowahrnehmung“ – schafft schon von ganz alleine zusätzliche Gefahren. Des Weiteren sind in unserem Zeitalter der neuen Medien Informationen viel leichter und schneller verfügbar als jemals zuvor und auf dem konkurrierenden Markt um unsere Aufmerksamkeit unterstreichen Medienanbieter gerne die alarmierenden oder erschreckenden Aspekte des Lebens, wodurch unsere Ängste nur noch mehr geschürt werden. Körperlich gesehen sind wir also sicherer davor, was einst die größten Gefahren für uns darstellte; wir sind aber stärker durch neue Bedrohungen gefährdet und auf jeden Fall sehr besorgt. Doch emotional gesehen schätze ich, dass die Menschen – bei aller Wichtigkeit des Überlebens – immer schon sehr sensibel auf die sie umgebenden Gefahren reagiert haben und immer auf mehr emotionale Sicherheit gehofft haben, auf ein Gefühl der Sicherheit. Unser Bedürfnis scheint uns nur deshalb so groß, weil wir ein größeres Bewusstsein dafür haben, was uns ängstigt als für das, was andere vor uns geängstigt haben könnte.
2. Inwiefern nehmen Überlagerungen von unterschiedlichen Risiken zu? Ist ein Dominoeffekt erkennbar?
Die beispiellose Vernetzung der modernen weltweiten Gemeinschaft bringt viele neue, eigene Schwachstellen mit sich. Lebenswichtige Infrastrukturen sind miteinander vernetzt, so dass sich ein Problem, das eine davon betrifft, schnell auf viele andere ausbreitet. (Denken Sie nur an die gefährliche Vernetzung von Systemen wie Elektrizität, Kommunikation, Bank- und Finanzwesen.) Bevölkerungsgruppen sind stärker wechselseitig voneinander abhängig, stehen mehr in Kontakt. Viele verschiedene Teile mancher Systeme, wie beispielsweise im Banken-/Finanzwesen, sind eng miteinander verbunden und überall anfällig für Probleme. Hinzu kommt, dass manche Risiken andere Risiken hervorrufen, was in einer vernetzten globalen Gemeinschaft weit verbreitet ist. Wie haben das Hungerrisiko durch Modifizierung von Weizen, Bananen und Reis gesenkt, sind aber so auf diese wenigen Feldfrüchte angewiesen, dass wir uns extrem anfällig gemacht haben, sollte eine von diesen durch eine neue Krankheit bedroht werden (wie es derzeit bei Weizen und Bananen der Fall ist). Und natürlich setzt die globale Bevölkerung von 7 Milliarden Menschen Prozesse in Bewegung, die neue Risiken schaffen und dann wieder neue Risiken, die aus den ersten entstehen.